Frühjahrsexkursion zur Schmücke und Finne am 27.04.2019
Zwischen dem Unstrutdurchbruch an der Sachsenburger Pforte im Westen und dem Saaletal im Osten ziehen sich im Nordosten Thüringens die Höhenzüge der Hohen Schrecke, der Schmücke und der Finne parallel zum Unstruttal hin. Sie bildeten wahrscheinlich schon immer eine natürliche Grenze zwischen den Siedlungsgebieten verschiedener Völkerschaften, ab dem 6. Jh. nach der Zerschlagung des Königreichs der Thüringer dann zwischen den Franken im Süden und den Sachsen im Norden. Zahlreiche Gipfel dieser Mittelgebirge trugen deshalb bereits in vor- und frühgeschichtlicher Zeit umfangreiche Wallburgen, die heute als Bodendenkmale unter Schutz stehen. Später im Mittelalter wurden diese teilweise übernommen oder neue Burgen errichtet, die die wenigen passierbaren Übergänge über die Bergkette sicherten. Zu zwei dieser ehemaligen Burganlagen, Beichlingen und Wiehe, die später zu Schlössern weiter aus- und umgebaut wurden, führte uns unsere diesjährige Frühjahrsexkursion am 27.04.2019, wie schon so oft ins benachbarte Thüringen.
An einem kühlen aber sonnigen Morgen trafen sich die Exkursionsteilnehmer der Landesgruppe auf dem Schloss Beichlingen am Südrand der Schmücke unweit von Kölleda. Hier erwartete uns schon Herr Lothar Bechler vom Förderverein Schloss Beichlingen zu einer Führung durch die interessante Burg- und Schlossanlage. Herr Bechler, Mitglied der DBV, LG Thüringen, ist einer der besten Kenner der älteren und auch der jüngeren Geschichte dieser leider viel zu wenig bekannten und besuchten Burg. Er führte unsere kleine Exkursionsgruppe durch die sehenswerten historischen Räume, die Schlosskirche und das vom Förderverein eingerichtete Museum und erläuterte uns auf unterhaltsame Weise die wechselhafte Geschichte und Baugeschichte der Burg.
Die Burg Beichlingen rückte erstmals ins Licht der Geschichte durch ein spektakuläres Ereignis im Jahr 1014, das selbst den damaligen Kaiser Heinrich II. in heftige Aufregung versetzte. Bischof Thietmar von Merseburg schildert dieses in seiner bekannten Chronik mit sehr bewegten Worten. Ein Vetter des Bischofs, der ehemalige Markgraf der Nordmark Graf Werner von Walbeck, drang mit seinen Männern in die Burg ein und entführte die Burgherrin Reinhilde, um sie zur Ehe zu zwingen. Bei den dabei ausgetragenen Kampfhandlungen wurde der Graf jedoch schwer verletzt. Seine Getreuen brachten ihn nach Wiehe, wo sein Aufenthalt an den Kaiser verraten wurde. Die von Heinrich II. ausgesandten Beauftragten sollten ihn dort verhaften und vor den Kaiser zum Gericht bringen. Sie konnten ihn aber nur noch bis in die unweit gelegene Reichsburg Allerstedt an der Unstrut schaffen, wo er seinen Verletzungen erlag.
Die nächste Nachricht über Beichlingen stammt dann erst aus dem Jahr 1069. In diesem Jahr soll in einem Konflikt zwischen König Heinrich IV. und dem Grafen Dedo II. von der Lausitz die Burg "Bichilum" (Beichlingen) erobert und niedergebrannt worden sein. Um das Jahr 1080 war sie im Besitz der Grafen von Weimar-Orlamünde und Erbgut der Gräfin Kunigunde. Erst ab dem Jahr 1141 beginnt mit Friedrich Graf von Beichlingen die lückenlos nachverfolgbare Reihe der Grafen von Beichlingen. Das Grafengeschlecht starb mit Bartholomäus Friedrich von Beichlingen 1567 aus. Bis zum Jahr 1519 konnten die Grafen trotz zunehmender wirtschaftlicher Schwierigkeiten ihren Stammsitz bewahren. Dann mussten sie ihn an Hans von Werthern auf Wiehe verkaufen. Dieses erfolgreiche thüringische Adelsgeschlecht besaß die Burg, die zugehörigen Ländereien und umfangreichen Rechte bis zum Jahr 1945. Im 16. Jh. bauten sie große Teile der alten Burganlage in ein Renaissanceschloss um. Von der Burg blieb dabei das sogenannte "Hohe Haus" erhalten, ein mächtiger, dreigeschossiger Palasbau vom Kemenatentyp, der in Thüringen weit verbreitetet ist. Dieses heute vermutlich älteste Gebäude der Burg wurde wahrscheinlich in der Zeit vom 14. bis zum 16. Jh. errichtet. Das Bauwerk hat teilweise bis zu 2,5 m dicken Außenmauern und keuzgratgewölbte Räume im Erdgeschoss. Zwei große Stuben im Obergeschoss haben einzigartige, gut erhaltene und mit Renaissancemotiven bemalte Bohlenwände sowie farbig gestaltete Holzbalkendecken. In anderen Räumen des "Hohen Hauses" finden sich Kamine, Stuckreliefs und Portalumrahmungen der Renaissance. Die Ausstattung erfolgte vermutlich Ende des 16. Jh. bis etwa um 1600.
Ein weiterer Höhepunkt der Führung war dann noch die vorbildlich restaurierte Schlosskirche, die ebenfalls erst im 16. Jh. entstanden ist und mit ihrem ausgesprochen üppigen Wandschmuck aus feinsten Stuckreliefs und Wappenfriesen wohl auch ein Alleinstellungsmerkmal dieser beeindruckenden Burganlage darstellt.
Burg und neues Schloss dienten nach der Enteignung der Grafen von Werthern im Jahr 1945 verschiedenen Zwecken. Zuletzt war hier bis 1992 eine Ingenieurschule für Veterinärmedizin untergebracht, von der noch große Gebäude aus dem 20. Jh. im ehemaligen Wirtschaftshof in der Unterburg übrig geblieben sind und nun allmählich verfallen. Seit 2001 ist die Burg in Privatbesitz. Dem Förderverein wurden dabei aber gute Bedingungen für die Weiterführung seiner Arbeit ermöglicht.
Von Beichlingen ging es über Kölleda und den Höhenzug der Finne nach Wiehe im Unstruttal. Hier erwarteten unsere Gruppe nach einem reichlichen Mittagsessen die Herren Willi Willomitzer und Reinhard Butzmann vom Förderverein Schloss Wiehe, die uns bemerkenswerte Einblicke in die ältere und vor allem jüngere Geschichte sowie in die Zukunft dieser Anlage ermöglichten. Auch Schloss Wiehe war bis 1945 im Besitz eines Zweiges der Familie von Werthern. Das heutige etwas nüchterne, nahezu schmucklose, vierflügelige Schloss steht wahrscheinlich an der Stelle einer alten Burganlage, die auf eine Wehranlage aus karolingischer Zeit zurück geht. "Wihe" wurde bereits im Jahr 786 im Breviarium Lulli erwähnt. König Heinrich I. erwarb in "Uuihe" im Jahr 933 Güter der Abtei Hersfeld, um Burg und Ort in der Hand des Reiches zu vereinigen. Nach Thietmar von Merseburg wurde der schwer verletzte Graf Werner von Walbeck nach der Entführung der Reinhilde von Beichlingen hierher gebracht, jedoch vom königlichen Verwalter der Burg an Kaiser Heinrich II. verraten und von dessen Beauftragten verhaftet. Kaiser Heinrich III. übertrug die Reichsburg um 1045 den Grafen von Käfernburg, von denen sich später ein Zweig Grafen von Wiehe und von Rabenswald nannte. 1346 fiel Wiehe nach dem Thüringer Grafenkrieg an die Landgrafen von Thüringen. In diesem Krieg und später im sächsischen Bruderkrieg 1445/1451 wurde die Burg wiederholt zerstört und wieder aufgebaut. 1461 erwarb Dietrich von Werthern die Herrschaft Wiehe. Das heutige Schlossgebäude wurde nach Abbruch der alten Burg im Wesentlichen zwischen 1664 und 1666 von Wolf Adolph von Werthern errichtet, in späteren Jahrhunderten noch mehrfach umgebaut und den Erfordernissen der jeweiligen Zeit angepasst. Ab 1946 diente das Schloss als Schule und später als Ausbildungsstätte für Lehrlinge in der Landwirtschaft. 1996 erwarb die Stadt Wiehe nach mehrfach gescheiterten Verkaufsversuchen der Treuhandgesellschaft das Schloss, um es als stadtbildprägendes Kulturdenkmal zu erhalten. Seitdem bemüht sich die Gemeinde, das inzwischen ziemlich in Verfall geratene Bauwerk schrittweise wieder instand zu setzen und einer sinnvollen Nutzung zuzuführen.
Die Exkursionsteilnehmer konnten sich von den großen Anstrengungen, die dafür notwendig waren und noch sind beim Gang um das und in dem Gebäude augenscheinlich überzeugen. Äußerlich sind die Sanierungsarbeiten zwar bereits weitgehend abgeschlossen. Im Inneren konnten die Erdgeschossräume und eine kleine Zimmerflucht im ersten Obergeschoss nutzungsfähig wieder hergestellt werden. Der größte Teil der Innenräume und das Treppenhaus sind jedoch noch immer Baustelle und harren der Instandsetzung. Für die künftige Nutzung gibt es inzwischen auch ein tragfähiges Konzept. So soll hier neben einem Museum für den berühmten Sohn der Stadt Leopold von Ranke vor allem eine Begegnungs- und Bildungsstätte entstehen, für die als Träger und Nutzer eine Hochschule in Erfurt Interesse zeigt.
Nach dieser aufschlussreichen Schlossbesichtigung begaben wir uns zu der Modellbahnanlage Wiehe, eine der größten Anlagen dieser Art in Deutschland. Nun wird man sich natürlich fragen, was eine Burgenexkursion mit einer Modellbahnanlage zu schaffen hat. Die Erklärung ist einfach. In dieser Anlage wird seit vielen Jahren Freizeitvergnügen für Jung und Alt mit Kunsterlebnis verbunden. Das Mitglied unserer Landesgruppe, Herr Kunstmaler Reinhard Bergmann, bekannt als der "Orangemaler", stellt hier schon seit mehreren Jahren seine sehenswerten Gemälde historischer Bauwerke, vor allem von Burgen und Schlössern aus. Jede seiner Ausstellungen widmet sich einer bestimmten Thematik. So hat Herr Bergmann bereits Präsentationen z. B. zu Burgen des Deutschen Ordens, Stätten der Templer und der Johanniter und andere durchgeführt. Seine aktuelle Ausstellung trägt den Titel "Stätten der Staufer" und umfasst ca. 100 Gemälde mit Burgen, Kirchen, Klöstern und Pfalzen aus der Stauferzeit. Die in ihrer gegenwärtigen Erscheinungsform realistisch gemalten Bauwerke findet man in Deutschland, in Frankreich im Elsass und in Italien bis hinunter nach Sizilien. Herr Bergmann ließ es sich nicht nehmen, unsere Gruppe selbst durch die Ausstellung zu führen und zu den jeweiligen Bildern die entsprechenden Erläuterungen zu geben. Zu erwähnen ist auch noch, dass Herr Bergmann die Objekte immer erst selbst aufsucht, bevor er sie später im Bild darstellt.
Mit diesem Besuch endete unsere diesjährige Frühjahrsexkursion, die für alle Teilnehmer wieder ein unvergessliches Erlebnis war.
Text: Dr. Hans-Joachim Spindler